Baal saß im neugestalteten Foyer des kleinen Theaters und
schwenkte sein Weinglas. Zweigelt, wieder viel zu kalt aber er hatte jetzt
schon die konsistent von frischen Blut. Blut, das Baal zwar schon gekostet aber
noch niemals getrunken hatte. Das Blut gebrochener Nasen den Hals runterwürgen
(auf ein paar dutzend brachte es sogar er) zählte da nicht, und das Blut
geplatzter Lippen hatte er immer lieber in das Gesicht seiner Angreifer gespuckt,
auch wenn das oft in gebrochenen Nasen endete. Der Zweigelt war vorzüglich und
im Foyer sammelten sich langsam die Besucher. Heute offensichtlich älter als
sonst und direkt an der Wand gegenüber, eine Gruppe alter Frauen. Alphaweibchen,
etwas grelle Stimme, laut in der Belanglosigkeit ihrer Geschichte. Irgendetwas
über die Marillen in der Wachau und Baal war gerade dabei sich auszuklinken und
weiter zu driften als die Alte ihre Geschichte beendete „…das woar sowos von
geil!“. Hoppala, noch ordentlich Leben in den alten Knochen. Auftritt eines
Paares, dass sich gekonnt die Gruppe einklinkt wie ein Enzym in eine Proteingruppe,
dass in 4 Millionen Jahren Evolution nichts anderes gelernt hat. Er zu jung und
die Dame zu gekrümmt. Die typische Haltung einer zu großen Frau. Und dann
scheucht das Alphaweibchen die Truppe zum Buffet, weil es auf jemandens Geburtstag
mit einem Glas Prosecco anzustoßen gilt. Als sie geht sind ihre Schritte etwas
unsicher, sie hat erst kürzlich auf ihre Hochhackigen verzichtet.
Baal betrachtete die neue Einrichtung. Neben den flauschigen
Sitzmöbeln und den neuen Tapeten (beides wirkte irgendwie unaufdringlich burlesk)
waren da die neuen Spiegeln, die an den Säulen hingen. Aus Baals Perspektive
teilten diese Säulen den Raum in lange senkrechte Streifen, die wie Filmkader am
Schneidepult eines Cutters nebeneinander aufgereiht waren. Und die Spiegel
verdoppelten ihre Anzahl. Sie spielten mit der Zeit, gerade so als ob sich der
Schnitt nicht um Chronologie scherte oder in viel zu viele Vor- und Rückblenden
schwelgte.
Wenn jemand vom Eingang daherkam, so saß man ihn/sie – die offensichtlich
Kommenden – abwechselnd von vorne und dann wieder von hinten. Immer größer
werdend in direkten Blick, immer kleiner werdend im Spiegelbild. Gerade so um
es einem nachdrücklich zu verdeutlichen: „Wenn ich zu dir komme, muss ich
woanders weggehen“. Und entgegen gesetzt wenn sie weiter gingen, nach hinten
zur Garderobe und dem Klo und der Bühne: ein direkt Blick auf ihren Rücken oder
Hintern (so wie es sich gehört wenn man den Gehende nachschaut) und dazwischen
wieder der gespiegelte Blick auf ein kleiner werdendes Gesicht, wie eine
Erinnerung die verblasst. Und nur für den kurzen Moment an ihre Tangentialpunkt
(bezogen auf Baal) ein kurzer Augenblick an Gegenwart, der damit verging zu
erkennen, dass aus den Kommenden Gehende werden und keiner von denen ein Bleibender
ist.
Der Zweigelt kam langsam auf Betriebstemperatur und Baal
blickte auf das Programmheft. „Liebelei“ von Schnitzler. Der Autor konvenierte
zum heutigen Durchschnittsalter, das Stück – auch wenn ein Kind seiner Zeit –
war aber zeitlos. Und ein paar Tage später (auch ich scher mich nicht um
Chronologie!) ein anderes Theater, ein anders Stück (Parisien Woman) aber
irgendwie dasselbe Thema.
Liebe – was immer das auch sein sollte – oh ja, davon hatte
Baal gekostet. Oh viel zu spät gekostete Frucht. Vermutlich war das die
Vollendung seiner Menschwerdung. Gekostet und getrunken, erst in vollen
unschuldigen Zügen, dann gierig, irgendwann wissend. Aber niemals routiniert,
auch wenn Baal inzwischen wusste wie es endet und der immer gleichen Worte am
Schluss auch schon überdrüssig war, lange bevor sie gesagt werden würden. Zwei
Stücke über die beiden Lieben. Die eine: schwer und schicksalshaft - Die andere:
leicht und zufällig. Weiter mochte er gar nicht denken, und schon gar nicht
drüber reden: Wittgenstein wusste wovon er spricht.
Die Glocke rief zu Stück. Für die Marillengeile Truppe würde
es eng werden mit ihren Proseccos. Baal leerte den Zweigelt und brachte die
Gläser zurück an die Bar, seine weltmännische Erscheinung in jeden einzelnen
Spiegelkader musternd und für gut befindend. Masquerade!, denn tief in seinem
vermuteten Herzen wusste er, dass er in so manchen Belangen immer nur ein
kleiner dummer Bub sein würde.
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