Donnerstag, 1. Dezember 2022

Liebelei - Parisean Woman

 

Baal saß im neugestalteten Foyer des kleinen Theaters und schwenkte sein Weinglas. Zweigelt, wieder viel zu kalt aber er hatte jetzt schon die konsistent von frischen Blut. Blut, das Baal zwar schon gekostet aber noch niemals getrunken hatte. Das Blut gebrochener Nasen den Hals runterwürgen (auf ein paar dutzend brachte es sogar er) zählte da nicht, und das Blut geplatzter Lippen hatte er immer lieber in das Gesicht seiner Angreifer gespuckt, auch wenn das oft in gebrochenen Nasen endete. Der Zweigelt war vorzüglich und im Foyer sammelten sich langsam die Besucher. Heute offensichtlich älter als sonst und direkt an der Wand gegenüber, eine Gruppe alter Frauen. Alphaweibchen, etwas grelle Stimme, laut in der Belanglosigkeit ihrer Geschichte. Irgendetwas über die Marillen in der Wachau und Baal war gerade dabei sich auszuklinken und weiter zu driften als die Alte ihre Geschichte beendete „…das woar sowos von geil!“. Hoppala, noch ordentlich Leben in den alten Knochen. Auftritt eines Paares, dass sich gekonnt die Gruppe einklinkt wie ein Enzym in eine Proteingruppe, dass in 4 Millionen Jahren Evolution nichts anderes gelernt hat. Er zu jung und die Dame zu gekrümmt. Die typische Haltung einer zu großen Frau. Und dann scheucht das Alphaweibchen die Truppe zum Buffet, weil es auf jemandens Geburtstag mit einem Glas Prosecco anzustoßen gilt. Als sie geht sind ihre Schritte etwas unsicher, sie hat erst kürzlich auf ihre Hochhackigen verzichtet.

Baal betrachtete die neue Einrichtung. Neben den flauschigen Sitzmöbeln und den neuen Tapeten (beides wirkte irgendwie unaufdringlich burlesk) waren da die neuen Spiegeln, die an den Säulen hingen. Aus Baals Perspektive teilten diese Säulen den Raum in lange senkrechte Streifen, die wie Filmkader am Schneidepult eines Cutters nebeneinander aufgereiht waren. Und die Spiegel verdoppelten ihre Anzahl. Sie spielten mit der Zeit, gerade so als ob sich der Schnitt nicht um Chronologie scherte oder in viel zu viele Vor- und Rückblenden schwelgte.

Wenn jemand vom Eingang daherkam, so saß man ihn/sie – die offensichtlich Kommenden – abwechselnd von vorne und dann wieder von hinten. Immer größer werdend in direkten Blick, immer kleiner werdend im Spiegelbild. Gerade so um es einem nachdrücklich zu verdeutlichen: „Wenn ich zu dir komme, muss ich woanders weggehen“. Und entgegen gesetzt wenn sie weiter gingen, nach hinten zur Garderobe und dem Klo und der Bühne: ein direkt Blick auf ihren Rücken oder Hintern (so wie es sich gehört wenn man den Gehende nachschaut) und dazwischen wieder der gespiegelte Blick auf ein kleiner werdendes Gesicht, wie eine Erinnerung die verblasst. Und nur für den kurzen Moment an ihre Tangentialpunkt (bezogen auf Baal) ein kurzer Augenblick an Gegenwart, der damit verging zu erkennen, dass aus den Kommenden Gehende werden und keiner von denen ein Bleibender ist.

Der Zweigelt kam langsam auf Betriebstemperatur und Baal blickte auf das Programmheft. „Liebelei“ von Schnitzler. Der Autor konvenierte zum heutigen Durchschnittsalter, das Stück – auch wenn ein Kind seiner Zeit – war aber zeitlos. Und ein paar Tage später (auch ich scher mich nicht um Chronologie!) ein anderes Theater, ein anders Stück (Parisien Woman) aber irgendwie dasselbe Thema.

Liebe – was immer das auch sein sollte – oh ja, davon hatte Baal gekostet. Oh viel zu spät gekostete Frucht. Vermutlich war das die Vollendung seiner Menschwerdung. Gekostet und getrunken, erst in vollen unschuldigen Zügen, dann gierig, irgendwann wissend. Aber niemals routiniert, auch wenn Baal inzwischen wusste wie es endet und der immer gleichen Worte am Schluss auch schon überdrüssig war, lange bevor sie gesagt werden würden. Zwei Stücke über die beiden Lieben. Die eine: schwer und schicksalshaft - Die andere: leicht und zufällig. Weiter mochte er gar nicht denken, und schon gar nicht drüber reden: Wittgenstein wusste wovon er spricht.

Die Glocke rief zu Stück. Für die Marillengeile Truppe würde es eng werden mit ihren Proseccos. Baal leerte den Zweigelt und brachte die Gläser zurück an die Bar, seine weltmännische Erscheinung in jeden einzelnen Spiegelkader musternd und für gut befindend. Masquerade!, denn tief in seinem vermuteten Herzen wusste er, dass er in so manchen Belangen immer nur ein kleiner dummer Bub sein würde.

Freitag, 29. Juli 2022

Machiavelli - nach dem Strandbad

Die Sonne brannte heiss auf die beiden herunter - roch aber schon nach Gewitter - als sich die beiden nach einem traumhaften Strandtag den Weg hoch mühten. 


Baal trug nur seine Badehose und Sneakers, sein muskulöser dunkler Körpers glänzte in der Sonne, Badetuch und Shirt - welches er oben an der Straße überziehen würde (das war eine Frage des Stils) - noch locker in der Rechten.


Machiavelli neben ihm sah aus wie eine stereotype Parodie von Sancho Pansa. Touristen-Sandalen (Flip-Flops waren ihm ein Graus), dicke Waden - die noch absurder wirkten weil sein Körper bis auf einen kleinen Schwimmreifen nur als ausgemergelt zu bezeichnen war -  Haut die sich nicht entscheiden wollte ob sie weiß oder Krebs-Rot sein wollte (man war ja zur Zeit in Österreich), kurze Stoppelfrisur und ein Bart um den Mund - der wenigstens zeigte als einziges von irgendeinen Körperbewusstsein. Das Sancho-Panda-Stereotyp machte also erst eine große grellbunte Badetasche vollständig, die er auf der Schulter hatte und die seiner Figur den Anschein einer schwerfällig  Fettigkeit verlieh. Wenn man ihn denn gesehen hätte.


Daran hatte er sich gewöhnt: während man Baal sah - oder wenigstens wahr nahm - ihn ansah, auf seinen Anblick reagierte, auswich, oder - je nach Muskelmasse - erwartete dass er auswich, war Machivelli schlichtweg unsichtbar. Lebewesen gingen durch ihn einfach durch, selbst kleine Kinder und kleine Hunde. Nur Katzen - wie sehr er diese präpotenten Geschöpfe verabscheute - schlängelten sich zwischen seine Beinen durch und vermieden es ihn zu berühren. 


Deshalb ging Baal am Gehsteig, Machiavelli auf der Straße. Und während auf dem kurzen Weg Baal erst einmal ausgewichen war - wenn er das tat, dann tat er es mir der Geschmeidigkeit eines Tigers, der sich bei leichten Wind durch ein Reisfeld bewegt, nicht die Angst vor etwas, sondern die Angst etwas zu verletzen, zu biegen, zu brechen, sich mit der vollen Front dem Objekt dem man auswich zuzuwenden, ihm die volle Aufmerksamkeit zu schenken, und gleichzeitig seine Stärke zu offenbaren, Frauen gefiel das und Männer, die kann man kaum mehr subtil demütigen wenn man einen Körper wie Baal hatte  - also während das Baal gerade einmal gemacht hatte, waren drei Autos und eine kleine schwitzenden Gruppe Radfahrer durch Machiavelli durchgefahren. Die hatten davon nichts gemerkt, aber ihr Schweiß klebte jetzt fremd an Machiavellis Hühnerbrust.


Machiavelli: als Kind seiner Zeit war ihm natürlich die Hölle gewiss, was anderes hätte er - wenn er denn ehrlich gewesen wäre - selbst nicht erwartet. Dennoch war er ebenso vollkommen ehrlich erstaunt als er von den Konsequenzen erfuhr. Aber wer wenn nicht er hätte wissen müssen, das die Taten zählen und nicht die Absichten.


Dennoch war ihm vorerst die Hölle erspart geblieben. Das war es jedenfalls wovon er ausgegangen war, wenngleich er hier inzwischen unsicher war ob das wirklich eine Verbesserung war. Baal hatte sich  nämlich ausbedungen (also einen Deal mit den relevanten Dienststellen gemacht) dass Nicolo Machiavelli ihm vorerst „zur Verfügung stehen würde“. Wie lange dieses „Vorerst“ schon dauerte (das konnte er einigermaßen rekonstruieren) oder noch dauern würde war Machiavelli unbekannt, und er würde auch niemanden fragen. Seitdem musste er Baals Monologen lauschen oder an seine Dialogen teilnehmen. Machiavelli hat nie an das Fegefeuer geglaubt, inzwischen hatte er aber eine Vorstellung von dem Konzept.


Genauso jetzt, Machiavelli hörte nicht zu als sie für einen Moment in den Schatten einer ausladenden Buche traten und sie kalte Dunkelheit umfing. Das Wesen, die Frau (oder eher doch das Mädchen- wenn man nicht so erschrocken wäre) tauchte wie aus dem Nichts vor ihnen auf. Was nicht ganz schwer war. Das einzig helle ( und das dafür Knochenweiss) an ihr waren 

  • Teile ihre Gesichtes, jedenfalls jene die nicht vom schwarzen Lidschatten, schwarzem Lippenstift, einem Schönheitsfleck (künstlich) und dem Schatten ihrer Kappe verdeckt waren.
  • Eine Stelle auf ihrer Schulter wo ein schwarzes Tanktop und eine ausgewaschener - und daher Schulterfreier- Sweater einen Spalt liesen und 
  • ein schmaler Streifen auf ihren Oberschenkel wo der Rand zwischen schwarzer Short und schwarzen Overknees - die mit Strumpfclips in Position gehalten wurden - nackte Haut durchblitzen liesen.

Ansonst - schwarz in schwarz und eine Schnute im Gesicht, die mit überlebensgroßen Hollywood-Lettern (in schwarz natürlich) „Verpisst euch alle!!!“ in den Raum stellte. 

Machiavelli rümpfte die Nase - er verabscheute alles was er nicht verstand - und wollte schon weitergehen. Aber Baal wich aus - aber nicht so wie er es sonst tat, sondern mit etwas das Machiavelli zuletzt am portugiesischen Hof gesehen hatte, raumfordernd in einer ehrerbietigen Distanz, volle Aufmerksamkeit aber ohne Blickkontakt, und schupste ihn damit auf die Strassenmitte. 

Machiavelli sah es nicht, aber Baal spürte dass die Hollywood-Lettern gerade ein wenig kleiner geworden waren. „Augenhöhe“ dachte Baal und fragte sich einen kurzen Augenblick ob es Agincourt , Austerlitz oder die Treppe zum Klo in der Loos-Bar gewesen war, wo er das zum ersten Mal wirklich kapiert hatte. Dann war sie schon vorbei.


Machiavelli grunzte, schob sich seinen Badesack zurecht und maulte, „wozu so viel Aufhebens wegen der?“


Er dachte schon das er damit durchkam, aber Baal hatte sich nur eine besonders heiße Stelle ausgesucht wo er anhielt, ihn bei der Schulter packte und zu sich rum drehte. Machiavelli blinzelte in der gleißenden Sonne und Baal blickte über seine Ray-Bans.


„Nico? Verstehst du nicht? Nicht mal mehr das Wissen wie man eine Frau behandelt? Selbst du hast Huren hofiert, die du dir nie leisten konntest. Natürlich war ihr Outfit deplatziert, unpassend, unerwartet - nicht ganz dem Setting angemessen. Aber es war ein Statement. Und es war ehrlich. Und das ist etwas was man dieser Tage nicht zu gering halten darf“. Und damit bohrte er ihn seinen Zeigefinger in die Schulter.


„Wir leben in einer Zeit der Lügen, der falschen Höflichkeiten, jeder hat die Angst das falsche zu sagen - oder das „richtige“ nicht oder zu spät zu sagen oder nicht schnell genug. Jeder übertrifft sich darin das aufzusagen von dem er glaubt das es seine Au-die-ence hören will. Jeder ist nur um seine kleinen billigen Vorteile bemüht“ - hier kam wieder der Finger in die Schulter - „plappert alles nach, eine Kakophonie der Mitläufer. Scheisse wenn der Junge aus Betlehem das gehabt hätte, er hätte mit seiner Bande alle Steine zu Brot gepostet.“


„Keiner denkt mehr nach, weil jeder glaubt den Narrativ besetzen zu können - zu müssen. Und was ist auf der Strecke geblieben? Die Wahrheit, oder das Wissen wie man mit der alten spleenigen Lady umgeht. Wir sind so gut im Lügen geworden das wir es selbst nicht mehr merken! Keine Augenhöhe mehr! Alles Lügner und die Ehrlichen bleiben auf der Strecke. Keine Handschlagqualitäten mehr, nur mehr Faustschlagqualitäten. Killer-Narrative.“


„Und dann eine wie sie - ein Statement - Ehrlich. Damit lässt sich arbeiten. Wir dürfen nicht mehr allzu wählerisch sein, aber mit Ehrlichkeit lässt sich arbeiten, egal wo für sie steht.“


„Und wie kam es soweit? Häh?“ und dann gab er ihm eine Kopfnuss. „Weil Mister-ach-so-wichtig kräftig nachgeholfen hat mit seiner ach-so-wichtigen DIY-Tyrannei-für Dummies.“


„Ich hab nur die Wahrheit gesagt!“ protestierte Machiavelli heftig.  „Und die Wahrheit ist niemals ….“


Baal winkte ab, seine Rage war vorbei, er wirkte müde und resigniert…“ja, das hast du. Und du bist ein brillanter Kopf“ damit tippte er an seine Stirne. „ein großer Menschenkenner, du kennst nicht die Menschen sondern den Menschen. Aber du hättest es ihnen nicht so leicht machen müssen. Manche wären von alleine drauf gekommen, einzelne, einer nach dem anderen, nicht alle gleichzeitig und jeder hätte es als sein kleines schmutziges Geheimnis für sich behalten. Aber so - das war das Killer-Narrativ. Danach wächst nichts mehr.“


Schweigen - nur Grillen zirpten in der Hitze und dröhnten in Machiavellis Ohren.


„Der Sommer geht zu Ende!“ sagte Baal und beide wussten, das er damit nicht ein paar Monate sondern ein paar Jahrhunderte meinte. „Schluss mit Lustig. Zeit wieder was zu arbeiten. Früchte einbringen die wir gesät haben, ausbügeln was schief gelaufen ist, Dellen ausklopfen“. Er klatschte in die Hände. Und grinste.


Der Tesla war lautlos die Straße herab gerollt und stand jetzt - quasi Stoßstange an Wade - vor Machiavelli. Baal wendete amüsiert lächeln dem Fahrer den Kopf zu. Machiavellis Blick folgte ihm und als er mit dem Fahrer Blickkontakt hergestellt hatte, erkannte er erschrocken, dass dieser ihn sehen konnte.


„Ich sagte ja Schluss mit Lustig“ sagte Baal grinsend und legte Machiavelli einen Arm um die Schulter. „Gehen wir einkaufen, du brauchtest Klamotten!“